Autokratischer und selbstbewusster
Der politische Abwärtstrend in West- und Zentralafrika setzt sich fort: 16 der 22 Länder werden nunmehr autokratisch regiert. Zudem gibt es in der Region nach wie vor keine Volkswirtschaft auf fortgeschrittenem Niveau. Gleichzeitig treten die Regierungen in einem sich verändernden internationalen Umfeld immer selbstbewusster auf und haben Alternativen zur Unterstützung westlicher Staaten gefunden.
Der politische Trend in West- und Zentralafrika zeigt nach unten: Sieben der 22 Länder haben seit 2020 mehr als einen Punkt auf der Zehnerskala des BTI verloren. Insbesondere findet in Westafrika democratic backsliding statt: Waren im BTI 2020 noch 13 der 15 Länder der Subregion demokratisch regiert, sind es nun nur noch sechs.
Im Untersuchungszeitraum waren es mit Burkina Faso (- 1,97 Punkte) und Mali (-1,00 Punkte) zwei westafrikanische Länder, die, infolge von Coups und einer prekären Sicherheitslage, besonders große Rückschritte verzeichneten. Demgegenüber standen in Niger Fortschritte – die aber durch den Militärputsch im Juli 2023 schon wieder in Frage gestellt werden. Stark unter Druck ist die Demokratie auch in Ghana, was auch im Kontext großer wirtschaftlicher Probleme zu sehen ist.
Die ökonomische Entwicklung bleibt eine große Herausforderung der Region. Zwar sind die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik aus der niedrigsten Kategorie der nur rudimentär entwickelten Volkswirtschaften aufgestiegen, doch zeigt das Tableau eben auch, dass die formalen regionalen Ökonomien bestenfalls eingeschränkt funktionieren. Damit einher geht ein niedriges Niveau der soziökonomischen Entwicklung. Das Beispiel Gabuns (+0,36) zeigt jedoch, dass positive Schritte auch unter diesen Bedingungen möglich sind.
Trotz aller Probleme gewinnen viele Länder im globalen Kräfteverhältnis zunehmend an Eigenständigkeit und versuchen dabei, an viele Staaten und Staatsgruppen anschlussfähig zu bleiben. Die zurückhaltende Beteiligung an der Verurteilung der russischen Ukraine-Invasion im Rahmen der Resolution der UN-Generalversammlung am 2. März 2022 war ein deutliches Signal auch dafür, dass der Westen seine Position nicht zwangsläufig durchsetzen kann.
Politische Transformation
Coups und Regressionen
Die politische Trendkurve in West- und Zentralafrika zeigt seit einigen Jahren deutlich nach unten. Zahlreichen einschneidenden politischen Regressionen stehen nur wenige positive Fälle gegenüber. Lediglich Niger erreichte in der BTI-Analyse zum Zustand der Demokratie eine höhere Klassifizierung als noch vor zwei Jahren. Die Liste der Herabstufungen ist ungleich länger: In Ghana waren Einschränkungen hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheit zu beobachten, im Falle Sierra Leones entzündet sich die Kritik an der Kompetenz der Wahlkommission und am Registrierungsprozess für die Wahlen im Juni 2023. Benin, wo Afrikas Demokratisierungswelle der 1990er Jahre einst ihren Anfang nahm, wird nunmehr sogar als Autokratie geführt. Dies deutete sich bereits im BTI 2022 an, der von Regelverschärfungen in Bezug auf die Zulassung von Oppositionskandidaturen berichtete. Bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen wurden diese Regeln nun angewandt und führten dazu, dass wichtige Persönlichkeiten der Opposition nicht antreten konnten. Damit waren keine fairen Wahlen mehr möglich. Nur gut die Hälfte der Wahlberechtigten ging an die Urnen. Guinea-Bissaus Herabstufung zur Autokratie ist damit begründet, dass sich die Gewaltenteilung im Land weiter verschlechtert hat. Der Präsident gab an, über dem Gesetz zu stehen, hebelte die Legislative und Judikative aus und löste letztlich das Parlament im Mai 2022 auf. Mitglieder der Opposition wurden mit Hilfe des Militärs verfolgt und Abweichler wurden bedroht.
Ganz anders sind die Abstürze von Burkina Faso und Mali zu erklären. Die Staatsstreiche hier reihen sich in eine lange Liste von versuchten und erfolgreichen Coups in der Region ein und zeigen, dass ein durch einen Putsch herbeigeführter Machtwechsel dort keinen Sonderfall darstellt. Im Berichtszeitraum gab es neben den erfolgreichen Putschen in Burkina Faso (beide 2022), Guinea (2021) und Mali (2021) Coupversuche in Gambia (2022), Guinea-Bissau (2022) und Mali (2022).
Die Gründe für Coups sind vielfältig. Auffällig ist: Die Machtübernahme durch das Militär stößt nicht zwangsläufig auf Ablehnung, im Gegenteil: Vom Afrobarometer im Jahr 2020 erhobene Zahlen für Burkina Faso zeigen, dass 56,2% der Bevölkerung großes Vertrauen in das Militär hatten, in den Präsidenten hingegen nur 31,8%. Und selbst im demokratischen Ghana haben 35,1% der Bevölkerung großes Vertrauen in das Militär, aber nur 13,9% in den Präsidenten. Die letzte Zahl trübt das Bild von Ghana weiter ein.
Eine zentrale Herausforderung für die politische Transformation in west- und zentralafrikanischen Ländern ist die Schwäche der Opposition und der Parteienlandschaft im Allgemeinen. Eine zersplitterte Parteienlandschaft (wie im Niger) und der Unwillen, Bündnisse zu schmieden (wie in Mauretanien), sind häufig anzutreffende Phänomene. Klientelismus in den Oppositionsparteien ist ebenso ein Problem, wie die Republik Kongo oder Benin zeigen.
Die Meinungs- und Pressefreiheit in West- und Zentralafrika variiert stark. Gambia und Ghana sind die Länder, in denen ein hohes Maß an freier Meinungsäußerung gewährleistet ist. Im Tschad hingegen arbeiten Journalist:innen unter Lebensgefahr, wenn sie über Proteste im Land berichten. Nach dem verfassungswidrigen Regierungswechsel, der den Sohn des Präsidenten an die Macht brachte, scheint sich das autokratische System mit noch mehr Repressionen zu konsolidieren.
Wirtschaftliche Transformation
Die Hürden bleiben hoch
Im Hinblick auf die ökonomische Situation sind es nicht zuletzt zwei Indikatoren aus dem Governance-Index des BTI, die illustrieren, warum die Lage in fast allen Ländern West- und Zentralafrikas äußerst schwierig ist. Der erste Indikator ist Konfliktintensität. Außer dem Nahen Osten und Nordafrika erzielt keine andere Region im Durchschnitt einen so schlechten Wert für die konfliktträchtige Spaltung der Gesellschaften in politische Lager, soziale Klassen sowie ethnische oder religiöse Gemeinschaften. Dabei gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede innerhalb der Region. So liegt Gabun (2 Punkte) mit einer sehr niedrigen Konfliktintensität an einem Ende des Spektrums, Burkina Faso, Mali, Nigeria und die Zentralafrikanische Republik mit einer hohen Konfliktintensität (je 9 Punkte) am anderen Ende. Dass sich Konflikte, insbesondere wenn sie sich mit Gewalt entladen, nachteilig auf die wirtschaftliche und sozioökonomische Entwicklung auswirken können, ist selbsterklärend. Der zweite Indikator bildet die strukturellen Hürden ab. Anders als in allen anderen BTI-Regionen gibt es in West- und Zentralafrika kein einziges Land, bei dem diese als niedrig eingeschätzt werden. Konkret sind es unter anderem eine unvorteilhafte geographische Lage ohne Zugang zum Meer, Defizite in der Infrastruktur und ein Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften sowie die Folgen des Klimawandels, die den Weg zu mehr Wohlstand erschweren.
Eine hohe Konfliktintensität und massive strukturelle Hürden tragen wesentlich zur Armut und Ungleichheit in der Region bei. So erreichen im BTI 2024 mit Gabun und Ghana nur zwei Länder wenigstens 4 von 10 Punkten auf der Skala des sozioökonomischen Entwicklungsniveaus, während zehn Staaten nur 1 Punkt erzielen und von massiver sozialer Ausgrenzung geprägt sind.
Alle 22 Staaten der Region gehören nur zwei Kategorien der wirtschaftlichen Transformation an, wobei bei 17 Ländern die Transformation als stark eingeschränkt bewertet wird, bei fünf Ländern als lediglich eingeschränkt. Keine andere BTI-Region zeigt eine ähnliche Clusterbildung, und keine andere weist im Durchschnitt einen so problematischen wirtschaftlichen Transformationsstand auf.
In den Staaten, die über reichhaltigere Ressourcen verfügen, kommen zu den strukturellen Hürden häufig Patronage und Klientelismus hinzu. Diese verhindern, dass die Ressourceneinnahmen für die sozioökonomische Entwicklung genutzt werden. Als „atemberaubend“ bezeichnet der BTI-Länderbericht beispielsweise die Ungleichheit in Äquatorialguinea, dem ölreichen Land am Golf von Guinea. Auf der einen Seite signalisiert das nach Mauritius und Botswana höchste Pro-Kopf BIP Afrikas eine hohe volkswirtschaftliche Wertschöpfung, auf der anderen Seite lag die Armutsrate 2020 bei 67%. Dass Ghana in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser geraten ist, ist zum Teil ebenfalls mit Korruption und Missmanagement zu erklären, die zu geringeren Erlösen aus dem Verkauf von Kakao und Gold geführt haben. Hinzukommen eine schwache Währung sowie das Versagen der Regierung, die Inflation von über 50% unter Kontrolle zu bringen.
Umso mehr sticht die relative ökonomische Stärke Gabuns hervor. Die Wirtschaft des Landes erholte sich nach einem ökonomischen Einbruch während der Covid-19-Pandemie. Zum wieder gestiegenen BIP pro Kopf trug der Reichtum an Ressourcen bei einer gleichzeitig kleinen Bevölkerung bei. Gabun verzeichnet zudem moderate Fortschritte im Bildungssystem, unter anderem bei der Einschulungsrate. Auch die Demokratische Republik Kongo verzeichnet auf niedrigem Niveau kleinere Fortschritte in den Bereichen Außenhandel und Fiskalpolitik und stellt sich damit gegen den im BTI 2024 erneut diagnostizierten globalen Trend einer zunehmend erodierenden Fiskalstabilität.
Governance
Militarisierung mit unklaren Folgen
Die Sicherheitslage bleibt in etlichen Staaten West- und Zentralafrikas angespannt und stellt eine hohe Bürde für die Regierungsfähigkeit der Länder dar. In vier Fällen stieg die Intensität der Konflikte an, namentlich in Burkina Faso, Liberia, Sierra Leone und Tschad. In ebenfalls vier Fällen hingegen ist ein Rückgang der Konfliktintensität zu verzeichnen: von einem sehr hohen Niveau kommend in der Zentralafrikanischen Republik, vom mittleren Level in Guinea und der Republik Kongo sowie mit einer geringeren Intensität startend in Gambia. Gewalttätige Konflikte, die in der Region zumeist von Rebellion, Dschihadismus und in geringerem Umfang von Separatismus befeuert werden, sind weiterhin in etlichen Staaten ein fundamentales Problem. Besonders vom Dschihadismus betroffen ist die Sahelregion und hier vor allem die Staaten Burkina Faso, Mali und Niger.
Die voranschreitende Militarisierung der Region könnte sowohl dazu beitragen, die Sicherheitslage zu stabilisieren als auch sie zu verschärfen. Fakt ist: Alle Regierungen in West- und Zentralafrika – mit Ausnahme Gambias und Malis – haben im Berichtszeitraum die Ausgaben für das Militär signifikant gesteigert. Laut Daten von SIPRI hat Togo seine Militärausgaben von 2021 bis 2022 um 80% erhöht und nimmt damit mit Blick auf Ausgabensteigerungen in diesem Zeitraum vor Guinea mit 43,3% und Niger mit 28,9% den Spitzenplatz ein. Die Militärausgaben Nigerias verzeichneten bereits 2021 einen Höchststand. In absoluten Zahlen: Nigeria hat 2021 rund 4,4 Milliarden US-Dollar in sein Militär investiert – zehnmal so viel wie der Durchschnitt aller Staaten der Region.
Antidemokratische Akteure, zu denen neben dem Militär auch Parteien oder Unternehmen zählen können, sind in vielen Ländern der Region anzutreffen. Die Fähigkeiten der Reformkräfte, diese Akteure zu kontrollieren, sind zumeist schwach ausgeprägt. Die Ausnahmen stellen Gambia, Ghana und Senegal dar. Ganz anders ist die Situation in Äquatorialguinea, den beiden Kongos und im Tschad. Im Tschad hat der Sohn des gestorbenen Präsidenten die Militärherrschaft unter seiner Führung zementiert. Ein Protest im Oktober 2022 gegen die Verlängerung der Übergangsphase, die in Wahlen münden soll, wurde von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Schwierig sind die Gegebenheiten für reformorientierte Kräfte auch in Mali, wo 2020 und 2021 je ein Coup stattfand, der eine Militärjunta an die Macht brachte. In Malis Nachbarland Burkina Faso wird die Bedeutung von antidemokratischen Akteuren in Gestalt der beiden Coups in Jahr 2022 gleich doppelt sichtbar.
Korruption war und ist in West- und Zentralafrika ein großes Problem, und in den letzten Jahren ist keine wesentliche Verbesserung zu verzeichnen. Liberia illustriert diese Stagnation. Obwohl sich der seit 2016 anhaltende Abwärtstrend (von 6 auf 3 Punkte) nicht weiter fortsetzte, ist das mangelnde Niveau der Korruptionsbekämpfung beachtlich, gehörte Liberia vor rund einem Jahrzehnt innerhalb West- und Zentralafrikas noch zu den am besten bewerteten Ländern. In Gambia hingegen könnten sich durch die Einrichtung einer Anti-Korruptions-Kommission positive Veränderungen andeuten. Ähnliches gilt für Côte d’Ivoire, wo ein Ministerium für die Korruptionsbekämpfung geschaffen wurde.
Ausblick
Alles in allem ergibt sich ein düsterer Gesamtausblick, wobei die Entwicklung in Ghana konkret Anlass zur Sorge gibt. Die wirtschaftliche Situation ist angespannt, zudem zeigt sich, dass die Legitimität der demokratischen Institutionen seitens der Bevölkerung durch Korruptionsskandale zunehmend in Frage gestellt wird. In Benin wird viel davon abhängen, ob es dem Präsidenten gelingt, die autoritären Strukturen weiter zu festigen oder ob die Opposition, die inzwischen wieder im Parlament vertreten ist, dieses Streben aufhalten kann.
Dramatischer und eindeutiger sind die Gegebenheiten in Burkina Faso und in Mali. Wenngleich in beiden Ländern von einem Übergangsprozess die Rede ist, bleibt insbesondere die Sicherheitslage stark angespannt. Die gestiegene Bedeutung von russischen Söldnern in Mali und der gleichzeitig geforderte Abzug der UN-Friedensmission aus dem Land sowie der bereits beschlossene Rückzug einiger europäischer Staaten können schwerlich als Hoffnungszeichen gesehen werden. Ein weiteres Abdriften in Richtung failing state ist nicht auszuschließen. Ähnliches gilt für Burkina Faso.
Im globalen Kontext schließlich zeigen sich zwei miteinander verschränkte Tendenzen. Auf der einen Seite wächst die Abhängigkeit von ausländischen Akteuren, und gerade autokratische Länder wie China, die Türkei, Saudi-Arabien und Russland zeigen ein gesteigertes Interesse an Afrika. Auf der anderen Seite vermitteln afrikanische Akteure auf der internationalen Bühne mit immer mehr Verve den Anschein, nicht länger Getriebene der Weltpolitik sein zu wollen. Sie wollen mitgestalten – zu sehen bei den Verhandlungen zum Umgang mit dem Klimawandel, den Anklagen bezüglich der Benachteiligung bei Covid-19-Impfstoffen, den Forderungen zur Rückgabe kolonialer Beutekunst oder in der Haltung zur russischen Invasion in der Ukraine.
Die Option, nun zwischen mehreren möglichen Partnern wählen können, konterkariert einerseits Demokratisierungsbemühungen westlicher Staaten (die keinesfalls konsistent waren und sind) und führt andererseits dazu, dass afrikanische Regierungen gegenüber westlichen Ländern zunehmend eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe anstreben.