Undemokratischer und erfolgloser
Noch nie wurden im Transformationsindex BTI in den letzten 20 Jahren so viele Staaten so schlecht regiert. Im weltweiten Durchschnitt werden Regierungsqualität und Steuerungsleistungen hin zu rechtsstaatlicher Demokratie und sozial inklusiver Marktwirtschaft im Governance-Index des BTI 2024 mit einem neuen Tiefststand von 4,60 Punkten bewertet. Bis zum BTI 2018 umfasste die Gruppe der Länder mit sehr guter oder immerhin guter Governance stets ein Drittel oder mehr des Ländersamples. Diese im BTI 2024 von Taiwan bis Côte d’Ivoire reichende Gruppe ist auf ein gutes Viertel geschrumpft. Erneut wird mehr als 100 Ländern eine nur mäßige bis gescheiterte Regierungsführung bescheinigt.
Im Untersuchungszeitraum zwischen Februar 2021 und Januar 2023 sank insbesondere die Fähigkeit einiger Regierungen, ihre selbstgesetzten Prioritäten konsequent umzusetzen und mit den verfügbaren Ressourcen effizient umzugehen. In der internationalen Zusammenarbeit waren weitere Verluste an Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu verzeichnen. Am deutlichsten reduzierte sich die Befähigung oder Bereitschaft, antidemokratische Akteure durch konsequenten Ausschluss oder geschickte Einbindung von blockierendem politischem Einfluss fernzuhalten. In einer steigenden Zahl von Ländern sind es die Gegner demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen, die an den Schaltstellen der Macht sitzen.
Schlechtere Governance ist eng mit dem parallel sinkenden Status der politischen Transformation verbunden. Eine Schwächung oder Aushebelung der Gewaltenkontrolle schränkt die Rechenschaftslegung der Exekutive ein, eine Beschneidung von politischen Beteiligungsmöglichkeiten erschwert die kritische Kommentierung von Regierungspolitik. Amtsmissbrauch, Korruption und Missmanagement bleiben so ungeahndet, mitunter sogar unkommentiert. 74 von 137 im BTI untersuchten Länder haben eine autoritäre Führung, die politische Beteiligung nur sehr begrenzt oder gar nicht zulässt. Aber auch in zahlreichen Demokratien, die illiberaler und autoritärer regiert werden, wird der öffentliche Diskurs zunehmend manipuliert und eingeengt. Schlechte Regierungsführung schwächt zudem das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse.
Die negativen Trends in politischer Transformation und Governance fanden vor dem Hintergrund erschwerter wirtschaftlicher Bedingungen durch die Folgen der russischen Invasion der Ukraine statt, die Lebensmittel- und Energiepreise in die Höhe trieb und die postpandemische Inflation in vielen Ländern weiter anheizte. Auch das Absinken des wirtschaftlichen Transformationsstands ist jedoch in Zusammenhang mit schlechter Regierungsführung zu sehen. Viele Regierungen sind nicht willens oder fähig, langfristig eine nachhaltige und sozial inklusive Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Ihre Bemühungen sind auf die Aufrechterhaltung eines korrupten Patronagesystems gerichtet, das keinen freien und fairen wirtschaftlichen Wettbewerb erlaubt.
Politische Transformation: Machtkonzentrationen und Umstürze
Das Kräfteverhältnis zwischen Demokratien und Autokratien im BTI hat sich in den letzten zwei Jahren weiter zu Ungunsten der demokratisch regierten Länder verschoben. Mittlerweile werden 74 Entwicklungs- und Transformationsländer mit einer Gesamtbevölkerung von vier Milliarden Menschen autokratisch regiert, während 63 Länder mit drei Milliarden Menschen Demokratien sind.
Die sich auch im BTI 2024 fortsetzende politische Regression ist wesentlich auf Regimewechsel, Putsche und sich verhärtende Autokratien wie Belarus, Russland und die Türkei zurückzuführen. Unter den 19 Staaten mit den stärksten Rückschritten der politischen Transformation sind mit Mauritius, Peru und Südafrika derzeit lediglich drei Länder zu finden, die demokratisch regiert werden, in denen aber zunehmend Patronage, Korruption und Polarisierung die politischen Institutionen unterminieren.
Im BTI 2024 setzt sich ein Trend fort, der die Demokratieentwicklung der letzten Jahre wesentlich mitprägte: die absichtsvolle Aushebelung von Kontrollinstanzen wie Justiz, Parlament, Aufsichtsbehörden oder Medien führt zur Machtkonzentration in der Exekutive und höhlt Gewaltenteilung aus. Im aktuellen Untersuchungszeitraum waren es vor allem zunehmend autoritär agierende Staatschefs, die eine starke Exekutive als Lösung gegen Korruption und Reformstau propagierten. In den noch im BTI 2022 als Demokratien eingestuften Ländern Benin, El Salvador, Guinea-Bissau, Kirgisistan und Tunesien führten die so gerechtfertigten Wahlrechtsnovellen, Justizreformen oder Verfassungsumbauten zur Etablierung autokratischer Herrschaftsverhältnisse.
Auch die Tendenz einer gewaltsamen Absetzung von Regierungen dauerte an und verstärkte sich, insbesondere in Westafrika. In Burkina Faso, Guinea und Mali sowie in Myanmar und Sudan putschte das Militär gegen Regierungen unter ziviler Führung oder mit ziviler Beteiligung. Hinzu kamen Putschversuche in Gambia und Guinea-Bissau, der Sieg der Taliban in Afghanistan und eine dynastische Machtergreifung im Tschad sowie nach Ende des Untersuchungszeitraums weitere Umstürze in Gabun und Niger.
Der Abbau von politischen Beteiligungsrechten wie Wahlen, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit ist am stärksten für die aktuellen Rückschritte verantwortlich. Der öffentliche Raum politischer Partizipationsmöglichkeiten schrumpfte erneut beträchtlich. In 25 Ländern sind Wahlen weniger frei und fair, in 32 wird die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weniger geachtet und in 39 die Meinungs- und Pressefreiheit stärker eingeschränkt als vor zwei Jahren. Positive Entwicklungen hingegen sind deutlich seltener und umfassen jeweils nur etwa ein Dutzend Länder.
Ein knappes Drittel aller untersuchten Staaten verzeichnet den niedrigsten Stand politischer Beteiligungsmöglichkeiten, der überhaupt seit Beginn der BTI-Untersuchungen vor zwanzig Jahren gemessen wurde. In zahlreichen arabischen Staaten von Ägypten bis Sudan und Syrien spricht dies für ein bis dato unerreichtes Ausmaß an Repression, die jegliche politische Opposition im Keim erstickt. Ähnlich umfassend ist die Unterdrückung kritischer Stimmen in anderen Regionen, so in Afghanistan, Belarus, Iran, Nicaragua, Tadschikistan und Tschad. In all diesen Ländern liegt der Kriterienwert für politische Partizipation bei zwei oder weniger Punkten und kennzeichnet nahezu geschlossene Gesellschaften. Aber auch in defekten Demokratien schrumpfen die Freiräume für politische Beteiligung, wird die Fairness von Wahlen wie in Ungarn beeinträchtigt, werden kritische Medien drangsaliert wie in Indien oder wird die Tätigkeit regierungskritischer Organisationen behindert wie in Serbien.
Dennoch gibt es auch im BTI 2024 eine Gruppe von 28 Demokratien, die politische Partizipation nahezu uneingeschränkt gewährleisten. Zu ihr zählt erstmals auch die Republik Moldau, die unter Präsidentin Maia Sandu Beteiligungsmöglichkeiten maßgeblich ausgeweitet hat, nicht zuletzt, um sich von oligarchischer Vorherrschaft zu lösen. Die Hälfte dieser partizipativen Demokratien sind in den letzten knapp 20 Jahren durchgängig als sich konsolidierend und stabil klassifiziert worden und haben ihr hohes Demokratieniveau unbeschadet aller Transformationsherausforderungen halten können. Zu dieser resilienten Gruppe zählen die lateinamerikanischen Länder Chile, Costa Rica und Uruguay sowie der Karibikstaat Jamaika, die EU-Mitglieder Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien und Tschechien sowie Botswana, Südkorea und Taiwan. Zudem haben es Honduras, Kenia und Sambia in den letzten zwei Jahren mittels Wahlen geschafft, eine Trendwende zu vollziehen. Dies gelang nach Ende des Untersuchungszeitraums auch Guatemala, und auch den neuen Regierungen in Brasilien und Polen bieten sich Möglichkeiten, demokratische Institutionen wieder zu stärken.
Insgesamt aber ist der kurz- wie langfristige Trend insbesondere mit Blick auf die demokratischen Kerninstitutionen – politische Partizipation und Rechtsstaatlichkeit – negativ. Dadurch wird auch die Stabilität demokratischer Institutionen zunehmend beeinträchtigt. Die einzigen Bereiche, die dem Negativtrend der letzten Jahre nicht folgten, sind Staatlichkeitsaspekte wie Gewaltmonopol und Legitimität sowie zivilgesellschaftliche Organisations- und Integrationsaspekte.
Hinsichtlich der Organisationsfähigkeit, Repräsentativität und Kooperationsbereitschaft von Interessengruppen wie auch des Ausmaßes von Vertrauen und Selbstorganisationsfähigkeit der Zivilgesellschaft ist ebenfalls eine Stabilität der Bewertungen zu verzeichnen, die je nach Kontext als fortdauernde Schwäche oder als demokratische Resilienz der Zivilgesellschaft einzuordnen ist.
In vielen Fällen sind zivilgesellschaftliche Akteure die letzte und entschlossenste Verteidigungslinie gegen zunehmende Autokratisierung. In Kenia und Sambia war es auch zivilgesellschaftlicher Nachdruck, der saubere und transparente Wahlen gewährleistete, in Polen und Sri Lanka wurde erfolgreich zum Schutz bürgerlicher und sozialer Rechte mobilisiert. Das zivilgesellschaftliche Engagement in den baltischen Staaten, in Polen oder Tschechien stützte die Solidarität mit der Ukraine und den Kriegsflüchtlingen. Beachtlich ist, dass sich auch in besonders repressiven Regimen der Unmut über Regierungen weiterhin Bahn bricht, sei es bei den anhaltenden Protesten gegen Chinas Zero-COVID-Politik, den Demonstrationen gegen das iranische Mullah-Regime nach dem Tod von Mahsa Amini oder den Protesten gegen die Militärregierung in Myanmar.
Wirtschaftliche Transformation: Schleppende Erholung, Inflation und steigende Ungleichheit
Nach der massiven Kontraktion der Weltwirtschaft durch die COVID-19-Pandemie fand eine Konjunkturerholung statt, die allerdings im Vergleich zum vorigen Abschwung schwach ausfiel. Der entsprechende Indikator steigt nach dem Absturz des globalen Durchschnittswerts von 5,88 auf 5,20 Punkte im vergangenen BTI nur leicht wieder an. 20 Länder wiesen sogar eine verschlechterte volkswirtschaftliche Bilanz auf, 13 davon in Fortsetzung des vor zwei Jahren diagnostizierten Negativtrends. Besonders ausgeprägt ist das Minus in den destabilisierten Staaten Myanmar und Sri Lanka sowie bei den Kriegsparteien Russland und Ukraine.
Die nur zögerliche Erholung trifft auf fiskalpolitisch teils stark angeschlagene Länder. Die zusätzlichen pandemiebedingten Belastungen durch Einnahmenausfälle und zusätzliche Ausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich sind nicht allein für die vielerorts dramatische Haushaltslage verantwortlich, da viele Länder bereits zuvor stark verschuldet und nahe dem Staatsbankrott waren. Die Überschuldung von Argentinien, dem Libanon oder Pakistan ist auch das Resultat einer verantwortungslosen und klientelistisch motivierten Verschuldungspolitik. Der BTI 2024 attestiert diesen drei Ländern sowie 36 weiteren Staaten mit 4 oder weniger Punkten eine inkonsistente, Fiskalstabilität weit verfehlende Haushaltspolitik. Nach der volkswirtschaftlichen Leistungsstärke ist Fiskalstabilität mit einem globalen Durchschnittsminus von 0,70 Punkten der am zweitstärksten abgewertete Wirtschaftsindikator der letzten 10 Jahre.
Inflationäre Tendenzen resultierten zum einen aus der ab 2021 stark gestiegenen Nachfrage, die sich nach allmählicher Überwindung der Pandemie aus der Öffnung vieler Ökonomien ergab. Die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 verstärkte diesen Inflationsdruck durch einen Anstieg der Rohstoffpreise zusätzlich. Immerhin aber reagierten die meisten Regierungen oder ihre Zentralbanken flexibel und lernfähig und setzten der Inflation dosiert gestaffelte Zinserhöhungen entgegen. 88 Länder warteten mit einer soliden Geldwertpolitik auf, die im BTI 2024 mit 7 oder mehr Punkten bewertet wird.
Andere Länder wie Libanon, Simbabwe, Sudan oder die Türkei hingegen wiesen 2022 teils dreistellige Inflationsraten auf. Die türkische Zentralbank senkte auf Anweisung von Präsident Recep Tayyib Erdoğan sogar den Zinssatz, um Investitionen anzukurbeln. Die daraus resultierenden hohen Inflationsraten führten innenpolitisch zu hohen sozialen Kosten, außenwirtschaftlich zu einem deutlichen Vertrauensverlust. Das türkische Beispiel illustriert, wie stark eine verengte, auf eine Person zugeschnittene Führung zu einem systemisch bedingten Verlust von Lernfähigkeit und damit zu einer verfehlten Wirtschaftspolitik führen kann.
Neben volkswirtschaftlichen Schwächen und verfehlten Wirtschaftspolitiken wird die Transformation hin zu sozial inklusiven und nachhaltigen Marktwirtschaften aber auch durch Wirtschaftsordnungen behindert, die weder faire wirtschaftliche Teilhabe noch gerechte Verteilung garantieren. Eine Untersuchung der Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb – Marktorganisation, Wettbewerbspolitik, Schutz von Privateigentum, Rechtsgarantien für privates Unternehmertum, Chancengleichheit – ergibt, dass sich Regierungen in der überwältigenden Mehrheit der Länder nicht als Treiber gesamtgesellschaftlicher Entwicklung, sondern als Vertreter von Partikularinteressen in einem bewusst unfair gestalteten Wirtschaftssystem sehen.
In nur 16 Staaten ist eine Teilhabe am wirtschaftlichen Wettbewerb nahezu uneingeschränkt möglich, in 66 teilweise. Rund 40 Prozent aller im BTI untersuchten Länder haben wettbewerbsverzerrende Wirtschaftsregime, in denen ein freier und fairer Marktzugang nicht gewährleistet ist. Weder ist hinreichend Schutz vor Preisabsprachen und der Dominanz von Monopolen oder Kartellen geboten, noch ist ein zuverlässiger Rechtsrahmen für Privateigentum gewährleistet. Den mit Abstand schwächsten globalen Durchschnittswert (5,01 Punkte) dieser Auswahl erzielt die Chancengleichheit. Ihn erreichen oder unterbieten 80 Länder, in denen Frauen oder Mitglieder ethnischer, religiöser und anderer Bevölkerungsgruppen massiv hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Teilhabemöglichkeiten diskriminiert werden.
Die Regimeverteilung innerhalb dieser Ländergruppen illustriert, wie stark eingeschränkte politische Freiheiten und mangelnde wirtschaftliche Fairness miteinander korrelieren. Unter den 55 Ländern mit unfreien und unfairen Wirtschaftsregimen finden sich mit dem Libanon, Nepal, Niger, Sierra Leone und Timor-Leste lediglich fünf Demokratien. Umgekehrt ist unter den 16 Ländern mit nahezu uneingeschränkter wirtschaftlicher Freiheit und Fairness Singapur die einzige Autokratie.
Mit deutlich geringeren, aber dennoch signifikanten Verlusten an wirtschaftlicher Freiheit und Fairness reihen sich Brasilien, Indien, Polen, Serbien oder Südafrika ein, die vor zehn Jahren ebenso wie die Türkei und Ungarn als sich konsolidierende oder nur leicht defekte Demokratien angesehen worden waren und in denen im Zuge anwachsender politischer Regressionen in den vergangenen Jahren auch die Grenze zwischen Staat und Wirtschaft zusehends verschwamm. Die ausbleibenden Fortschritte zu mehr wirtschaftlicher Teilhabe lassen jedenfalls darauf schließen, dass Machtkonzentration oder Machterhalt einer kleinen Elite häufig Vorrang gegenüber der Ausgestaltung einer offeneren und inklusiveren Wirtschaftsordnung hat.
Dies hat Auswirkungen auf das Sozialniveau und das Ausmaß von Armut und Ungleichheit. Nur ein Viertel der Demokratien und noch nicht einmal jede zehnte Autokratie erreicht ein sozioökonomisches Entwicklungsniveau, das einen relativ hohen Grad sozialer Inklusion gewährleistet. Umgekehrt sind es nunmehr 83 von 137 Ländern, in denen eine massive und strukturell verankerte soziale Ausgrenzung herrscht.
Auf den untersten beiden Bewertungsstufen mit sehr hohen Armutsraten und extremer Ungleichheit sind 36 der 50 untersuchten afrikanischen Länder eingeordnet. Neben der wachsenden Ungleichheit steigt auch die Armut wieder deutlich an, die in den Jahren vor der Corona-Pandemie zwischenzeitig reduziert worden war. Im globalen Durchschnitt sank das sozioökonomische Entwicklungsniveau auf den Tiefststand von 3,98 Punkten.
Governance: Machtkonzentration beeinträchtigt Kompetenz
Gute Governance beinhaltet eine gestaltungsfähige Politik, die im Sinne gesamtgesellschaftlicher Entwicklung langfristig Prioritäten setzt und diese lernfähig implementiert. Sie zeichnet sich durch effiziente, koordinierte und korruptionsfreie Steuerung aus und ist in der Lage, Konsens über die gesellschaftlichen Entwicklungsziele herzustellen und bestehende Konflikte zu entschärfen. Auf internationaler Ebene agieren gut geführte Länder verlässlich, glaubwürdig und kooperativ. Eine solche, gute Regierungsführung ist auch unter autoritärer Lenkung möglich. Dies beweist der Stadtstaat Singapur seit vielen Jahren, und auch die Golfstaaten Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie, mit bereits größeren Einschränkungen, Benin und Côte d’Ivoire. Sie sind im BTI 2024 unter den 36 Staaten mit sehr guter oder guter Regierungsführung allerdings die einzigen Autokratien.
In den letzten Jahren hat sich allerdings ein Narrativ etabliert, das mit zunehmender Intensität propagiert wird. Demnach seien es gerade autoritärer geführte Staaten, die jenseits von Parteiengezänk und institutionellen Blockaden klare Entwicklungsziele vorgäben und umsetzen könnten, die durch straff zentralisierte Koordination Effizienzerfolge verzeichneten und mit harter Hand nationale Einheit und internationale Größe herstellten. Mit einem solchen Narrativ erklären sich Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten und Kronprinz Muhammad bin Salman in Saudi-Arabien zu erfolgreichen Modernisierern, propagieren sich China und Ruanda als Entwicklungsvorbilder und begründen zunehmend autoritär agierende Staatschefs auch in Demokratien die Aushebelung von Gewaltenteilung. Die generelle Empfänglichkeit für diese Erzählung leitet sich maßgeblich aus langen Jahren der Klüngelei und Misswirtschaft ab, die in defekten Demokratien herrschte, auch wenn die autoritärere Erfolgsbilanz – wie in El Salvador oder Tunesien – einen Demokratieabbau nicht rechtfertigen kann.
Insgesamt ist ein Drittel aller untersuchten Regierungen nicht willens oder fähig, gesellschaftliche Entwicklung in umfassender und inklusiver Weise zu planen, umzusetzen sowie flexibel und lernfähig auszugestalten. Lediglich vier der 44 betroffenen Länder sind Demokratien, so dass diese Gruppe mehr als die Hälfte aller im BTI 2024 als Autokratien klassifizierten Regime umfasst.
Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich zahlreiche autokratische Regime von Belarus bis Uganda sowie Putschstaaten wie Burkina Faso, Mali und Myanmar noch weiter verhärtet haben. Die weitere Machtkonzentration in Autokratien bedeutet eine Entscheidungsfindung in immer engeren Führungszirkeln oder personalistischen Regierungsstilen. Dies mindert Regierungskompetenz, die sich der Abwägung alternativer Gestaltungsvorschläge, der Berücksichtigung kritischer Stimmen oder der Evaluation bestehender Politiken und Prozesse beraubt.
Die chinesische Zero-COVID-Politik, die von Wirtschaftseinbrüchen und Versorgungsengpässen gekennzeichnet war, veranschaulicht dies. Ihr Scheitern war systemisch bedingt. Das chinesische Regime mutiert unter Xi Jinping in zunehmendem Maße von einer Einparteienherrschaft zu einer absolutistischen Monokratie. Vormalige Stärken chinesischer Lernfähigkeit werden zurückgefahren. Die chinesische Meritokratie leidet darunter, dass mittlerweile Loyalität bei der Besetzung leitender Posten wichtiger als Qualifikation ist. Daraus resultieren politische Fehler, wie das zu zögerliche Eingreifen bei der Immobilienkrise oder die ebenso drakonische wie letztlich erfolglose Pandemiepolitik.
Aber auch die Gestaltungsfähigkeit von Demokratien sinkt. Ein Beispiel ist das südliche Afrika mit den vormals zur Governance-Spitzengruppe gehörenden Staaten Botswana, Namibia und Südafrika. Seit Längerem zeigt sich dort, dass eine lange und ununterbrochene Amtszeit die Grenzen zwischen Staat und Regierungspartei verwässert und das Staatsgefüge anfällig für Vetternwirtschaft und Korruption macht.
Generell gibt es zwischen den 63 Demokratien und den 74 Autokratien im BTI 2024 erhebliche Unterschiede in Bezug auf Ressourceneffizienz bei der Regierungsführung. So bleibt die Qualität der Politikkoordinierung in Autokratien im globalen Durchschnitt weit hinter der von Demokratien zurück (-1,54), ihre Nutzung der verfügbaren Ressourcen ist deutlich weniger effizient (-1,88), und der Unterschied zwischen autokratischer und demokratischer Antikorruptionspolitik ist besonders groß (-2,20). Insofern gibt es keinen Effizienzvorteil straffen autoritären Regierens durch vermeintlich schnelleres und entschiedeneres Handeln.
Einige wenige autoritär regierte Ausnahmestaaten sind durchaus effizient. Neben dem strategisch umsichtig planenden Stadtstaat Singapur sind dies die beiden Golfstaaten Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie, wenn auch bereits mit großem Abstand, Ruanda. Dem stehen 24 effiziente Demokratien gegenüber. Am Ende der Skala finden sich 45 desorganisierte, vergeudende und korrupte Regime, die – mit Ausnahme von Bosnien-Herzegowina, Honduras, Kenia, Lesotho und dem Libanon – allesamt autokratisch regiert werden.
Autoritäre Herrschaftsstrukturen, weit reichende sozioökonomische Marginalisierung, unzureichende Verwaltung und Versorgung sowie verbreitete Korruption korrelieren in signifikanter Weise. Es ist aber gerade die unterlassene Bekämpfung korrupter Strukturen, die das Effizienzversprechen einer autokratischen Lenkung als ideologische Verbrämung einer weder auf Fairness noch Inklusion bedachten Regierungsform enthüllt. Von den lediglich 15 Regierungen, die sich der Korruptionsbekämpfung ernsthaft widmen und erfolgreich Integritätsmechanismen eingerichtet haben, ist Singapur die einzige Autokratie. Von den 87 Regierungen hingegen, die nicht willens oder fähig sind, Korruption einzudämmen und im BTI 2024 mit 4 oder weniger Punkten bewertet werden, werden 63 autokratisch regiert. 85% aller Autokratien haben nicht die Autorität, die Kapazität oder überhaupt die Absicht, intransparente Strukturen der Selbstbereicherung und Patronage zu bekämpfen.
Wenig Bereitschaft zur Entschärfung innergesellschaftlicher Konflikte
Die Einschränkung von politischen Beteiligungsrechten, die absichtsvolle Polarisierung als Herrschaftsstrategie sowie unfaire und marginalisierende Wirtschaftsordnungen gehen fast immer mit einer Verschärfung politischer, sozialer, ethnischer oder religiöser Konflikte einher. Im globalen Mittel aller schon im BTI 2006 untersuchten Staaten stieg die Konfliktintensität um 0,78 Punkte. In den vergangenen zwei Jahren ist die Konfliktintensität in 39 Ländern gestiegen und stellt damit die Negativentwicklung im Governance-Index dar, von der die größte Anzahl von Staaten betroffen war.
Die Reaktion der Politik auf erhöhte Gewaltbereitschaft und zugespitzte innergesellschaftliche Konflikte ist bisher denkbar unzureichend. Während ein Mehr an Inklusivität, ausgleichender Konsensbildung und Responsivität der politischen Eliten dringlich erforderlich wäre, weisen die Ergebnisse des BTI 2024 erneut darauf hin, dass eine Mehrheit der Regierungen ihre Anstrengungen gerade in diesen Bereichen nicht ausreichend verstärkt hat.
Am deutlichsten wird dies bei der Bewertung der Fähigkeit von politischen Akteuren zu effektivem Konfliktmanagement. Keine andere politische Gestaltungsleistung hat im globalen Durchschnitt in den vergangenen zwanzig Jahren solche Qualitätseinbußen erlebt.
Das Verhältnis der Länder, denen entweder eine aktive Deeskalation gelingt oder die wenigstens eine weitere Polarisierung verhindern können, hat sich im Vergleich zu jenen, die keine Eskalation verhindern oder sogar aktiv innergesellschaftliche Konflikte schüren, seit dem BTI 2006 signifikant verschoben: waren damals noch 74 Regierungen erfolgreiche Mediatoren, so sind es heute nur noch 49, die Anzahl der aktiven Polarisierer ist demgegenüber von 17 auf 40 Staaten angewachsen. Dazu gehören nicht nur die repressivsten Regime der Welt, sondern auch die populistischen oder nationalistischen Regierungen in Brasilien unter Jair Bolsonaro, Indien, der Türkei und Ungarn, die ein konfrontativer und autoritärer Führungsstil eint.
In den Negativtrend des Konfliktmanagements sind in der Regel alle Indikatoren der Konsensbildung einbezogen. Wo die Unfähigkeit oder der Unwille, Konflikte zu entschärfen zunimmt, erodiert auch der Konsens der politischen Akteure über die Transformationsziele, wird die Zivilgesellschaft weniger in politische Entscheidungsprozesse eingebunden und der Einfluss antidemokratischer Vetoakteure nimmt zu.
Die steigende Konfliktintensität und die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Deeskalation und Konsensbildung auf nationaler Ebene findet ihre Entsprechung in zunehmend unverbindlichem, unkooperativem oder konfrontativem Verhalten auf internationaler Ebene. Heimische Polarisierung und Repression sowie nationalistische Aggression nach außen sind zwei Seiten derselben autoritären Medaille. Die Regierungen, die für die größten Rückschritte im Bereich internationaler Zusammenarbeit verantwortlich sind, zählen ausnahmslos auch zu den aktivsten Treibern einer politischen Regression. Dabei überträgt sich das Freund-Feind-Denken polarisierender Regime, die das Schüren von Konflikten als innenpolitisches Mittel der Machtsicherung verwenden, auf eine nationalistische und transaktionale Außenpolitik, in der das Recht des Stärkeren gilt. Das eklatanteste Beispiel hierfür war im Untersuchungszeitraum das russische Regime, das in grober Missachtung des Völkerrechts und rücksichtsloser Brutalität einen Angriffskrieg gegen die Ukraine losbrach. Neben den von Putin selbst postulierten imperialistischen Ansprüchen war eine wesentliche Triebfeder der Invasion wohl aber auch die Sorge, dass ein erfolgreicher demokratischer Nachbar im eigenen Land als Gegenmodell zum autoritären System gesehen werden könnte.
Die Befürchtung externer Destabilisierung trieb auch die westafrikanischen Putschländer Burkina Faso und Mali in eine selbstisolierende Konfrontationsstellung gegenüber westlichen Ländern und internationalen Organisationen sowie gegenüber der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die auf die Einhaltung vereinbarter demokratischer Standards drängten. Nach Ende des Untersuchungszeitraums fand dieses Duo durch die Putschisten in Niger weitere Verbündete und erhält zudem russische Unterstützung. Derweil sah sich die sudanesische Militärjunta einer noch stärkeren Isolierung ausgesetzt und wurde mit Sanktionen und internationaler Kritik, auch von der Afrikanischen Union, belegt, da sie die zivilen Regierungsvertreter systematisch ins Abseits drängte. Ebenfalls weitgehend isoliert ist das Militärregime in Myanmar, das nach verlorenen Wahlen putschte und danach mit massiver Repression gegen prodemokratische Demonstrationen vorging.
Auf einer qualitativ anderen Ebene, und dennoch mit ebenso deutlichen Einbußen, fiel die Bereitschaft und Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit in Argentinien, Bangladesch, El Salvador, Peru und Tunesien aus. Auch hier spiegeln sich die innenpolitischen Defizite im außenpolitischen Auftreten. Die ideologisch aufgeladene und chronisch unzuverlässige peronistische Außenwirtschaftspolitik entspricht dem polarisierenden und intransparenten innenpolitischen Vorgehen der mittlerweile abgewählten argentinischen Regierung. Die autoritäre Regierung in Bangladesch hat durch Verschleppung, außergerichtliche Tötung, Folter und fehlende Haftung für derartige Verstöße die energische Kritik der Vereinten Nationen sowie der US-amerikanischen Biden-Administration auf sich gezogen. Die Geringschätzung rechtsstaatlicher Institutionen und Menschenrechte durch den salvadorianischen Präsidenten Bukele setzte sich auch außenpolitisch in der Missachtung der von El Salvador unterzeichneten Inter-American Democratic Charter fort. Die innenpolitische Lähmung der zwischen Exekutive und Parlament polarisierten Regierung in Peru blockierte auch die internationale Zusammenarbeit. Die ausgeprägt personalisiert geführte tunesische Regierung unter Präsident Saied erwies sich als unflexibel und diplomatisch eingeschränkt und verlor aufgrund reduzierter Glaubwürdigkeit einen substanziellen Teil der US-amerikanischen Unterstützung.
Diese Regierungen sind die jüngsten Treiber einer längerfristigen Entwicklung, die sich immer deutlicher abzeichnet: die Erosion internationaler Kooperation und multilateralen Konfliktmanagements. Im Unterschied zu den anderen Governance-Kriterien, deren Bewertungen sich primär erst in den letzten knapp zehn Jahren verschlechterten, ist die internationale Kooperationsbereitschaft von einem hohen Niveau aus bereits seit zwanzig Jahren kontinuierlich gesunken. Insgesamt ist allerdings internationale Zusammenarbeit noch immer das am besten bewertete Governance-Kriterium. Während Gestaltungsfähigkeit, Effizienz und Konsensbildung im globalen Mittel mit unter 5 Punkten bewertet werden, liegt das Kooperationskriterium trotz starker Verluste gerade im Bereich der Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit noch immer bei über 6 Punkten.